2013-02-16

Die Hessen

Wie sind sie eigentlich, die Hessen?

von Wolf Schmidt (1963)



Ein Schwabe hat diese Frage einmal so beantwortet: "Sie sind - e bißle direkt ..." In der Tat. Und sie verfügen über mehr als hundert Sorten Direktheit, so wie sie über hundert Sorten Dialekte verfügen. Rheinhessisch, Oberhessisch, Fuldaer Platt, Frankfurterisch, Darmstädterisch, Määnzerisch - das alles gehört zwar zur hessischen Sprachfamilie, aber die sprachlichen Unterschiede beginnen noch nicht einmal an den Stadtgrenzen, sondern schon innerhalb der Stadtteile, ganz zu schweigen von den umliegenden Dörfern, die so verschiedene Dialektversionen haben, daß manchmal über ein paar Kilometer Entfernung Verständigungsschwierigkeiten auftauchen.

Vielleicht rührt das "Direkte" auch daher, daß die Hessen nicht gerade leise reden und nicht zu wenig - sie rechnen eben immer mit der Möglichkeit, daß ihr Gesprächspartner schwerhörig oder begriffsstutzig oder gar beides ist.

Bei solcher "Direktheit" kann man eins den Hessen nicht vorwerfen: daß sie "falsch" seien.

Sie tragen ihr Herz auf der Zunge, un net nur e klei Zippelche, sonner gleich e ganz Maul voll.

Nun ist "Herz" im hessischen Fall nicht im poetischen Sinne mit "Innigkeit" oder überströmender Güte gleichzusetzen - dem steht schon ein altes hessisches Sprichwort entgegen: "Des is all ganz wurscht wann's Herz nur schwarz ist." Wenn die Hessen eins nicht sein möchten, dann ist es "sentimental". Und wenn sie es doch einmal sind, dann höchstens aus Versehen und am falschen Platz. Wenn sie mit etwas kokettieren, dann am ehesten mit ihrer rauhen Schale.

Erstens macht es am wenigsten Mühe, man braucht nur zu sagen, was man gerade denkt, und Grobheit gilt auch anderswo als untrügliches Zeichen von "Persönlichkeit".

Und zweitens sagt ihnen ein listiger Instinkt, daß ihr Gegenüber vielleicht dumm genug sei, an das hochdeutsche (und damit von vornherein dubiose) Sprichwort zu glauben "Rauhe Schale, goldner Kern" . In Hessen gibt es keinen Goldbergbau, wir haben Basalt.

Wolf Schmidt über Babba Hesselbach


Aber es läßt sich reden mit den Hessen (wenn sie einen zu Wort kommen lassen), und es läßt sich gut auskommen mit ihnen, wenn man nicht alles so wörtlich nimmt, was den Nichthessen im ersten Moment vor den Kopf stößt. Seien Sie versichert, was Ihnen normalerweise als "grob" vorkommt, ist bei einem Hessen nichts als ein Zeichen seiner Wertschätzung: Er nimmt Sie für voll, er schätzt Sie ebenso hoch ein wie sich selbst. Und was Höheres gibt's ja nirgends. Er beweist Ihnen damit nur sein gutes Gewissen, das Speichelleckerei nicht nötig hat.

Sollte er aber darüber hinaus einmal wirklich grob werden (er selber findet das noch lange nicht "grob", sondern er sagt's Ihnen halt nur "ohne Ferz"), dann können Sie fest rechnen mit seiner Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit und Vertragstreue. Denken Sie bloß nicht, daß er sich von Ihnen an den Wagen fahren läßt. Der wütende Hesse ist der zuverlässigste Hesse, der Ihnen in zähneknirschender Pflichterfüllung beweist, daß er kann, auch wenn er nicht will.

Dagegen seien Sie vorsichtig mit dem höflichen Hessen. "Im Deutschen lügt man, wenn man höflich ist", sagte Goethe - und sicherlich hatte er dabei Erfahrungen mit seiner hessischen Umgebung im Auge. Nun werden die Frankfurter wieder einwenden, daß sie nie was mit den Hessen zu tun hatten und erst zwangsweise nach 1945 ... und daß ihr Goethe schon gar nicht ...! Unsinn. Wer gedichtet hat "Neiche, Du. Schmerzenreiche ...", ist Hesse, auch wenn es damals noch nicht so hieß, und die größten hessischen Dialektdichter sind und bleiben neben Darmstadts Niebergall die Frankfurter Friedrich und Adolf Stoltze.

Nichts gegen die Hessen, die auf hochdeutsch höflich sind. Aber Höflichkeit oder gar Überhöflichkeit auf hessisch - das ist Unnatur, das ist reiner Hohn, ein Brechmittel.

Wie also sind die Hessen wirklich? Unter uns gesagt: genauso wie die andern auch. Nicht besser und nicht schlechter. Es gibt sone und solche.

Jede Verallgemeinerung haut auch im hessischen Fall daneben. Also was soll das Gebabbel?

Ein paar kleine Beobachtungen, was eim so uff-fällt, liewer Himmel, jetz mache Se net glei e Gedees von wege "Nest beschmutze" un so, Sie sin ja garnet perseenlich gemeint, rege Se sich doch net uff.
Gewitternochemal, sowas Zickiges, bloß weil mer doch, weißderdeiwel, nur ganz heeflich uf e dumm Frag e dumm Antwort gewwe hat ...

WOLF SCHMIDT
Oberhesse



»Hessisch ist eine Gesinnung«


Der nebenstehende Multimedia-Clip ist ein Ausschnitt aus »Ich sach' ja nix, ich red' ja bloß!« von Peter Knorr und Lionel van der Meulen. Wolf Schmidt ist darin mit einer humorvollen Darstellung der Hessen und des Hessischen zu hören.



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