2012-12-25

Ein musikalisches Elternhaus

Von Karl Andreas Mehling

Elternaus am tauben Rain 6 in Friedberg/Hessen

Notenschlüssel am HausIm Geburtshaus meines Onkels Wolf Schmidt herrschte stets ein lebhaftes musikalisches Treiben und ein musischer Geist - vom Stolz darauf zeugt bis heute ein über der Haustüre eingemeißeltes großes S in Form einer Achtelnote.

Wolfs Vater, Prof. Dr. Karl Schmidt, war neben seinem Lehrerberuf unglaublich produktiv auf vielen musikalischen Gebieten tätig: er war Leiter der Friedberger Bachfeste, der über 100 Augustinerschul-Konzerte, der Richard Wagner-Stipendien-Stiftung, der Bad Nauheimer Kammermusikreihen u.v.m.

In über 2000 Konzerten war er Begleiter am Klavier, gab für den großen Musikverlag Breitkopf und Härtel Arien-Alben heraus und schrieb Kritiken und Aufsätze für verschiedene Zeitungen, komponierte und fungierte als Glocken-Sachverständiger in ganz Hessen.

Schröter: Karikatur


Im Schmidtschen Haus verkehrten und musizierten mit ihm viele professionelle Musiker, so Heinz Bongartz, Gustav Lenzewski, Heinz Schröter und die Brüder Rolf und Paul Hindemith, um nur einige zu nennen.

Hindemith: Präludium


Als erste Musik spielte Karl Schmidt seinem gerade geborenen Sohn die Waldstein-Sonate von Beethoven auf dem Klavier vor - und der wieder einmal zu Besuch weilende Paul Hindemith die Violinsonate von César Franck.

Getauft wurde der Kleine auf den Namen Johann Sebastian Ferdinand Wolfgang.
Seine Mutter schrieb dazu: „Johann Sebastian für den großen Thomaskantor Bach, Ferdinand für seinen gerade verstorbenen Großvater (mütterlicherseits) und Wolfgang als Tribut an Goethe, und weil der Name uns so gut gefällt.“

Zur Taufe führte der Vater im Gottesdienst die Bach-Kantate „Herr, gehe nicht ins Gericht“ auf, danach gab es zuhause Kammermusik, unter anderen mit Rolf und Paul Hindemith.

Musikdirektor Johann Friedrich Schmidt mit Enkel


Zu jedem Geburtstag in der Familie wurde nicht nur musiziert, sondern auch häufig etwas Spezielles von den Gästen komponiert und aufgeführt. Wolfgang lernte Klavierspielen und beteiligte sich daran, sobald er konnte.

Im Februar 1919 war der kleine Wolfgang zum ersten Mal im Theater: „Dornröschen“.
Er war so fasziniert, dass er seiner Mutter keine Ruhe ließ, bis sie ihm ein kleines Libretto schrieb, mit dem er das Stück zu Hause aufführen konnte.
Paul Hindemith wollte sogar die Musik dazu schreiben, vergaß es jedoch – was ihm Wolfgang begreiflicherweise sehr übel nahm.

Aber auch die Klassiker wurden ihm schon früh durch den Vater nähergebracht und er deklamiert mit 5 Jahren im Bett sitzend Schillers „Wilhelm Tell“: „Wäre ich ein Mann, ich wüsste Besseres, als hier im Staub zu liegen.“

Kurz nach den ersten Erfahrungen mit dem Lernen (er wird die ersten vier Jahre von Vater und Großvater privat unterrichtet) sagte er: „Was brauch´ ich das alles zu lernen – ich werd ja doch Theaterdirektor!“

Für dieses Ziel begann er schon mit sieben Jahren zu üben: er spielte Kasperletheater für die Nachbarskinder und führte selbst erfundene Stücke und Programme auf, wozu er auch alle verfügbaren Besucher des Vaters und diesen selbst einspannte und inszenierte.

Kindertheater am Taubenrain


Zum Geburtstag seiner Mutter deklamierte und spielte der Achtjährige „Ein guter Rat für junge Frauen“ von Hans Sachs.

So verwundert es nicht, dass schließlich nicht die Musik, sondern das Wort seine Passion und sein Beruf wurde. Sofort nach seinem Abitur wurde er Journalist. Als er die NEUE ZEIT in Berlin übernommen hatte, heuerte er prompt seinen Vater als freien Mitarbeiter an und sandte ihn (wohl auf dessen eigenen Wunsch) 1934 als Beobachter und Kritiker zu den Bayreuther Festspielen.

Presseausweis Karl Schmidt



Familie Schmidt 1932


Während Wolf später in seinen Stücken eher die menschliche Seite des Familienlebens in seinem Elternhaus dramaturgisch auswertete und vielfach kolportierte, führte die musikalische Seite Wolfs jüngere Schwester, meine Mutter Eva Mehling, in ihren Beruf: Sie studierte am Frankfurter Konservatorium und wurde Geigerin und Stimmführerin im Orchester des Stadttheaters Gießen.

Auch meine eigene musikalische Laufbahn entstand letztlich aus dem besonderen Geist dieses Hauses.

Andreas

K. A. Mehling wirkte als Dirigent und Chordirektor an Opernhäusern in Deutschland und Österreich. Er lebt heute wieder im Haus am Taubenrain 6 - auch seinem musikalischen Elternhaus.


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